Erinnerungen sind das unsichtbare, oft aber kaum tragbare Gepäck, das Flüchtlinge, Vertriebene, Exilierte sowie Auswanderer mit sich bringen. Auch die zweite und dritte Einwanderergeneration trägt offenkundig daran, wie Beispiele aus der postmigrantischen und insbesondere der postgenozidalen migrantischen Erinnerungsprosa belegen. Eine besondere Untergattung dieses literarischen Genres sind die zwischen Fiktion und Faktizität oszillierenden Familien- und Reiseromane armenischstämmiger Autoren. Diese Prosa ist in den USA und Frankreich seit Jahrzehnten stark ausgeprägt. In Deutschland hat sie sich seit Katerina Poladjans Reiseroman Hier sind Löwen (2019) entwickelt, .gefolgt von Laura Cwiertnias und Marc Sinans Romanen Auf der Straße heißen wir anders (2022) sowie Gleißendes Licht (2023). Wie wichtig die Aufarbeitung des ultimaten Verbrechens, des Genozids, für die betroffenen Autor:innen selbst ist, zeigt die Tatsache, dass L. Cwiertnia und Marc Sinan ihr literarisches Debüt mit einem Roman zum Schicksal ihrer armenischen Vorfahren begannen.
Partizipation in der Migrationsgesellschaft bedeutet auch die Wahrnehmung literarischer Selbstaussagen der Nachfahren einst Verfolgter durch die nicht persönlich betroffene Mehrheitsgesellschaft. Dafür wollen wir mit dieser Veranstaltung sensibilisieren.
Programm
Katerina Poladjan, Laura Cwiertnia und Marc Sinan stellen ihre Romane mit jeweils 20minütigen Textlesungen eigener Wahl und zehnminütiger Diskussion zum Werk und zur Person des Autors vor. Anschließend folgt nach einer Pause eine moderierte Publikumsdiskussion zu Fragen der Rezeptionswahrnehmung und der Autorenerwartungen:
– Warum haben die Autor:innen Poladjan, Cwiertnia und Sinan eine Familiengeschichte gewählt, die mit einem Völkermord verbunden ist? Wie lautet ihre Botschaft an die nicht-armenischen Leser:innen?
– Ist die Erinnerung an einen nun 109 Jahre zurückliegenden Genozid noch Bestandteil der kollektiven armenischen Identität und Selbstwahrnehmung? Falls ja: Was folgt daraus?
– Wie werden Ihre Werke in der türkeistämmigen Gemeinschaft wahr- und aufgenommen? Tragen sie erkennbar dazu bei, dass eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen in der Transformationsperiode zwischen dem spätosmanischen Reich und der Republikgründung erfolgt? Falls nein: Warum nicht?
– Wie ist die Wahrnehmung Ihrer Werke in der deutschen Mehrheitsgesellschaft?
Moderation: Dr. phil. Tessa Hofmann
Online-Teilnahme: Wir bemühen uns, die Veranstaltung hybrid durchzuführen. Interessenten für eine online-Teilnehme bitte anmelden unter: info@aga-online.org